17. Juli bis 22. August
Eröffnung am 17. Juli um 19 Uhr
Es spricht: Miriam Kathrein – Werkraum Bregenzerwald
Öffnungszeiten (während den Ausstellungen):
Mittwoch bis Freitag 15 – 19 Uhr
und Samstag (neu) von 13 – 16 Uhr
sowie nach tel. Vereinbarung.
Dramatis Personae – Video, Full HD, 4 min, Stereo 2019: https://vimeo.com/375061821
Claudia Larcher
face2face
Unsere digitale Kommunikation lässt zunehmend den Text hinter sich. Bilder beginnen zu dominieren, oft sind es einfache Piktogramme wie in der Frühzeit der Schriftkultur – Emojis sind ein global verbreitetes Beispiel. Diese „Bildschriftzeichen“, wie die wörtliche Übersetzung aus dem Japanischen lautet, transportieren eine Bandbreite verfügbarer und vorgefertigter „Emotionen“. Diese Illustrationen emotionaler Zustände durch stilisierte Gesichter sind immer eindeutig: Jedem „Smiley“ ist ein ganz bestimmtes Gefühl zugeschrieben, das der/dem Empfänger*in der Botschaft vermittelt werden soll. Missverständnisse, in der digitalen Kommunikation mangels realen Angesichts vorprogrammiert, sollen damit weitgehend aus-geschlossen werden. Das Missverständnis ist die Urangst der Kommunikation. Schon Ludwig Wittgenstein schlug vor, der potenziellen Konfusion durch eine Frühform von Emoticons entgegenzuwirken: denn Wörter, die Gefühle ausdrücken oder persönliche Erlebnisse beschrieben, brächten ihm zufolge „eine bestimmte Art von Verwirrung oder Verwirrungen“ mit sich – „Wenn ich ein guter Zeichner wäre, könnte ich mit vier Strichen unzählige Gesichtsausdrücke hervorbringen“, meint er in seinen „Vorlesungen über Ästhetik“ und fügte übrigens an dieser Stelle tatsächlich drei einfach gezeichnete „Smileys“ als Beispiele ein.1
Emojis scheinen in der Kommunikation also durchaus praktikabel zu sein, vor allem in einer Zeit des schnellen globalen Austausches, in dem Barrieren, wie sie Sprache und Text mit sich bringen, schon aus Gründen der Effizienz möglichst zu vermeiden sind. Die Kehrseite: Die Gesichtchen ersetzen dabei unser eigentliches Antlitz. Sie sind Markierungen dessen, was wir wirklich denken und fühlen.
An diesem Punkt setzt Claudia Larchers neues Projekt face2face an. Es basiert auf einer Auswahl von acht beliebten Emoji-Varianten, wie wir sie wohl alle mal in Chats verwenden: Einem Tränen lachenden, einem gerührten, einem genervt-nachdenklichen, einem lächelnden, einem neutral blickenden, einem fröhlich-frechen, einem unglücklichen und einem verliebten. Diese digitalen Piktogramme ließ Claudia Larcher im November 2019 im Zuge eines Artist-in-Residence-Programmes in Kooperation mit der one world foundation in Sri Lanka von singhalesischen Maskenschnitzern ins Analoge übertragen. Der Ort Ambalangoda an der westlichen Südküste Sri Lankas ist berühmt für seine traditionelle Maskenschnitzkunst. Die dort produzierten Masken wurden ursprünglich von der Bevölkerung bei Tanzritualen zur Vertreibung böser Dämonen benutzt, heute dienen sie eher touristischen Zwecken. Larcher ließ die acht Emoticons auf traditionelle Weise als Masken schnitzen und setzte damit Zeichen und Rituale in Verbindung, wie sie – eigentlich – unterschiedlicher nicht sein können. Und doch gibt es einen gemeinsamen Link: den Hinweis auf die Maske als Symbol für den Verlust des (natürlichen) Gesichts. Hans Belting stellte in seinem Buch Faces. Eine Geschichte des Gesichts in unserer heutigen Mediengesellschaft einen endlosen Konsum „von Gesichtern“ fest, „die sie selbst produziert“.2
Mediale Gesichter haben das natürliche Gesicht in der Öffentlichkeit verdrängt, das Publikum werde mit „Gesichtsklischees“ bedient, die sich aus der Bindung vom lebenden Körper abgelöst hätten, so Belting. Gesichter, Körper haben heute bestimmte Rollen inne, sind an sich maskenhaft. In Larchers Video, das aus dem face2face-Projekt heraus entstand, tragen Angestellte der one world foundation reglos die geschnitzten Emoji-Masken. Sie erinnern ein bisschen an August Sanders Menschen des 20. Jahrhunderts, fotografische Porträts von Menschen aus den 1920er-Jahren, die ihre jeweilige berufliche Rolle und ihren gesellschaftlichen Status in den Vordergrund rücken. Aber ihre Gesichter, ihre Identitäten sind in ein doppeltes Spiel verwickelt: Sie sind durch die Maske getilgt, das kulturellem oder gesellschaftlichem Kontext vollkommen enthobene Emoji-Antlitz ist an ihre Stelle getreten.
Auch Historizität, etwa die koloniale Geschichte Sri Lankas, scheint gleichermaßen unsichtbar gemacht. Und dennoch stellen ihre geschnitzten Maskierungen Zeugnisse dar. Sie sind greifbare, analoge Werkzeuge, um die bösen Geister der digitalen Welt zu vertreiben.
Ines Gebetsroither
[1] Ludwig Wittgenstein, Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychologie und Religion, Hg. v. Cyril Barrett, Eberhard Bubser, Göttingen 1966, S. 19 und 23 (https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb00077529.html?pageNo=19, aufgerufen am 4.7.2020).
[2]Hans Belting, Faces. Eine Geschichte des Gesichts, München 2013, S. 214.
Claudia Larcher
face2face
(Übersetzung Ulli Knall)
Our digital communication is increasingly leaving text behind. Images start to dominate, they are often simple pictograms like in the early days of writing culture – emojis are one global example. These „pictorial characters“, as is the literal translation from the Japanese, means to convey a range of available and ready-made „emotions“. These illustrations of emotional states through stylized faces are always clear: each „smiley“ is assigned a very specific feeling that is to be conveyed to the recipient in the message. Misunderstandings, pre-programmed in digital communication due to a lack of a real face interaction, are to be largely avoided. Misunderstanding is the primary fear of communication. Ludwig Wittgenstein already suggested that the potential confusion could be countered by an early form of emoticons: because words that express feelings or describe personal experiences would, according to him, bring „a certain kind of confusion or confusion“ – „If I were a good draftsman, I could produce countless facial expressions with four strokes,“ he says in his „lectures on aesthetics ” and actually added three simply drawn “ smileys ” here as examples.¹Emojis seem to be quite practical in communication, especially in a time of rapid global exchange, in which barriers such as language and text are to be avoided as far as possible for reasons of efficiency. The downside: the little faces replace our actual face. They are masks of what we really think and feel. This is where Claudia Larcher’s new face2face project comes in. It is based on a selection of eight popular emoji variants, as we probably all use them in chats: a laughing tearful, a stirred, a lovingly thoughtful, a smiling, a neutral looking, a happy-cheeky, an unhappy and one in love. In November 2019, Larcher had these digital pictograms translated into analogs by Sinhala mask carvers as part of an artist-in-residence program in cooperation with the one world foundation in Sri Lanka. The town of Ambalangoda on the western south coast of Sri Lanka is famous for its traditional mask carving. The masks produced there were originally used by the population for dance rituals to drive away evil demons, but today they are used more for tourist purposes. Larcher had the eight emoticons carved as masks in a traditional way and therefore associated them with signs and rituals that – actually – could not be more different. And yet there is a common link: the reference to the mask as a symbol for the loss of the (natural) face. In his book Faces, Hans Belting presentes a story of the face in today’s media society stuck to an endless consumption of „faces“ that „it produces itself“ .¹ Media faces have replaced the natural face in public, the audience is served with “facial clichés” that have broken free of the bond from the living body, according to Belting. Faces, bodies have certain roles today, are mask-like in themselves. In Larcher’s video, which emerged from the face2face project, employees of the one world foundation wear the carved emoji masks motionless. They remind a bit of August Sanders people of the 20th century, photographic portraits of people from the 1920s, who put their respective professional roles and social status in the foreground. But their faces, their identities are involved in a double game: they are wiped out by the mask, the emoji face is completely removed from cultural or social context and has taken its place. Historicity, such as the colonial history of Sri Lanka, seems equally invisible. And yet their carved masks are testimonials. They are tangible, analog tools to drive away the evil spirits of the digital world.
Ines Gebetsroither
1 Ludwig Wittgenstein, Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychologie und Religion, Hg. v. Cyril Barrett, Eberhard Bubser, Göttingen 1966, S. 19 und 23 (https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb00077529.html?pageNo=19, aufgerufen am 4.7.2020).
2Hans Belting, Faces. Eine Geschichte des Gesichts, München 2013, S. 214.